
Das Kriminelle und die Balance
Hans Leyendecker über Verlässlichkeit, Korruption und Charakter
Das Wort „korrupt“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „verrottet“. Obwohl es in den verschiedenen Ländern und Kontinenten unterschiedliche Auffassungen gibt, wo genau Korruption und Kriminalität beginnt, existiert doch ein Grundkonsens, dass Korruption schadet und jemand, der korrupt ist, sich aus der Gesellschaft ausgrenzt.
Was sind die Motive für Korruption? Gier? Ego? Fahrlässigkeit? Ein klassisches Motiv, sagt Hans Leyendecker, ist der Wunsch nach Vergeltung. Einer ist zu kurz gekommen und will das, was ihm nicht gegeben wurde, sich verschaffen.
In traditionellen Gesellschaften (bis zurück zu den vorbürgerlichen Clans und Stämmen) gibt es Patronats- und Treueverhältnisse. Sie beruhen auf „Gabe und Gegengabe“. Diese Grundströmung, von Geben und Nehmen ist auch in allen Arbeitsprozessen, Kooperationen, Näheverhältnissen üblich. Es wird auch keine Politik geben, ohne dieses Grundwasser an gegenseitigem Vertrauen, zu dem auch Zeichen von Gefälligkeit gehören. Wenn ein Staatsanwalt die Tasse Kaffee, die ihm angeboten wird, nicht annimmt, geht er von einer Nullgrenze der Toleranz aus, die nicht nur unrealistisch, sondern menschenunfreundlich ist.
Dies stellt die Abteilungen für Compliance und Integrität in den Wirtschafts-unternehmen vor immer erneut aktuelle Fragen. Wie verhalt man sich bei Shit-Storm? Gibt es für jemand, der sich schuldig gemacht hat, einen Rückweg? Wie verhält man sich in den Nebeln wirklicher Verhältnisse, wenn diese Abgründe enthalten? Was heißt Charakter? Was heißt Verlässlichkeit?
Unsere heutigen Öffentlichkeiten, besonders auch das Netz, können unbarmherzig sein. Wer definiert, was Unrecht ist? Es ist wichtig, feste Grenzen gegenüber dem Kriminellen und der Korruption zu ziehen. Ebenso wichtig ist dabei das Augenmaß und die Balance zu bewahren, die dem Sünder im Einzelfall auch den Rückweg möglich machen.
Hans Leyendecker ist seit Jahrzehnten als investigativer Journalist tätig. Er ist Leitender Politischer Redakteur der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Gemeinsam mit Georg Mascolo arbeitet er an investigativen Projekten, die Standards gesetzt haben. Er berichtet aus reicher Erfahrung. Spannend und informativ.