
Russland 1917
Helmut Altrichter: „Eine Gesellschaft in Aufruhr“
Wie für einen Besuch bei einem Zahnarzt im Gesicht vermummt fuhr Lenin am Vorabend des Staatsstreichs, der seine Partei für mehr als 70 Jahre an die Macht brachte, mit der Straßenbahn zu seinem Hauptquartier. Die Machtübernahme verlief auch sonst anders als man sie sich vorstellt. Die Bilder vom Sturm auf das Winterpalais sind Jahre später aus einem „inszenierten Massentheater“ und durch Filme erzeugt worden. Diese Bilder überlagern auch die konkrete Erinnerung der Teilnehmer. Der Systemwechsel von 1917 erfolgte wenig spektakulär. Er löste aber, vor allem durch die Umverteilung des Bodens und somit auf dem Lande eine nachhaltige Umwälzung aus, die dann tatsächlich zu einem REVOLUTIONÄREN UMBRUCH wurde. Nicht die Ereignisse in St. Petersburg, sondern diese Wende in den Lebenswelten macht die Substanz der russischen Revolution aus. Alle diese Bereiche des Umbruchs: die radikale Beendigung des Kriegs, die Bodenverteilung, der Kampf gegen den Analphabetismus, die Elektrifizierung, das Medizinalwesen, der Konstruktivismus in der Kunst – alle diese revolutionären Fragmente – haben ihre eigene Geschichte.
Die Forschungen des Osteuropa-Historikers Helmut Altrichter zeigen, wie wenig die russische Revolution von 1917 einem Schema entspricht. Sie entsprach nicht einmal dem Bild, das sich die Revolutionäre selbst, ausgehend von dem Vorbild der Großen Französischen Revolution von 1789 und der Commune von 1871, von den Ereignissen machten. Nach fast 100 Jahren lohnt sich ein Blick auf die eine Rekonstruktion dieser Geschehnisse aus ihren authentischen Elementen. Prof. Dr. Helmut Altrichter von der Universität Erlangen, ein führender Osteuropa-Historiker, berichtet.
Spannend und informativ.