Mitten im Strom /
Prof. Dr. Yuri Slezkine: Die frühen Jahre der Russischen Revolution
Die aktiven Revolutionäre, die den Oktober-Aufstand im Jahr 1917 anführten, passen in ein Zimmer und an einen übersehbaren Tisch in ihrem Hauptquartier in St. Petersburg, dem sogenannten Smolny. Die Umwälzung aber, für die sie arbeiten, bezieht sich auf ein riesiges Imperium mit Rändern in der Arktis, im Osten Sibiriens und in Mittelasien. Und außerdem auf die Internationale, die ganze Welt.
Yuri Slezkine ist der führende Experte für die frühen Jahre der Russischen Revolution. Diese Jahre unterscheiden sich massiv von den Linien in der späteren Geschichte der Sowjetunion.
Für die Genossen der Frühzeit war die Revolution ein stürmisches Meer. Es galt Dampfer, Flöße, Boote und Behelfsmittel rasch zu erfinden, um über Wasser zu bleiben. Erst später ging es um genauere Navigation und erst, nachdem die Mehrzahl der Revolutionäre umgebracht war und die Revolution sich einbetonierte, ging es um Lenkung der Gewässer, um Staudämme und zuletzt um die Errichtung eines „neuen Turms von Babel“.
Die von den Genossen erdachten und die tatsächlichen Entwicklungen fallen, so Yuri Slezkine, weit auseinander. Immer sind mehrere Strömungen zu beobachten. Die Revolutionierung, die Internationale und der Neue Mensch unterscheiden sich und verbinden sich zugleich mit der Bewegung der Mobilisierung des Landes, beginnend mit der Elektrifizierung. Diese Modernisierung, die 1917 anfängt, hat erst 70 Jahre später das weite Land durchdrungen, vor allem an den Rändern des Imperiums blüht sie bis zuletzt.
Eine besondere Beobachtung von Yuri Slezkine richtet sich auf den Exodus der politischen Intelligenz, insbesondere der jüdischen, aus den trägen und progrom-bestimmten Verhältnissen der russischen Provinz und der Kleinstädte. Dafür war bereits die jüdische Arbeiterpartei, Der Bund, ein Zeichen. Es gibt drei Formen dieses Exodus, sagt Slezkine: der eine führt in die U.S.A., der andere zur Gründung eines verspäteten ethnischen Nationalstaats in Israel. Der dritte führt in die Metropolen Moskau und St. Petersburg mit dem Ziel der Internationale und der Erschaffung des „Neuen Menschen“.
Begegnung mit Prof. Dr. Yuri Slezkine, Berkeley University. Aus dem Russischen gedolmetscht von Rosemarie Tietze, der Übersetzerin von Tolstois ANNA KARENINA.